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Ingrid Steeger: Ein Wunder, dass ich noch lebe. Interview II

Ingrid Steeger Interview

Ingrid Steeger

Ingrid Steeger

· Ein Wunder, dass ich noch lebe

· Ich bin durch die Hölle gegangen

* Mir kann nichts mehr passieren

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Interview

Frau Steeger, wie fühlt man sich, wenn man seine eigene Autobiographie schreibt?

Teilweise schrecklich. Ich habe ja gewisse Erinnerungen verdrängt. Die ganz schlimmen Erinnerungen. Die, von denen ich eigentlich nichts mehr wissen wollte. Beim Schreiben kam alles noch einmal hoch. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sorry, wenn ich das jetzt so deutlich sage, aber ich musste mich übergeben.

Was waren denn Ihre schlimmsten Erinnerungen?

Das fing mit der Kindheit an. Ich hatte auch da viel verdrängt, aber im Gespräch mit meiner Schwester waren plötzlich wieder diese Bilder vor mir. Meine Ängste, meine Schreie, die unglaublichen Schmerzen. Meine Eltern haben uns oft bis zur Besinnungslosigkeit verprügelt. Das war so grausam. Noch heute bin ich fassungslos darüber.

Aber warum waren Ihre Eltern so grausam?

Ich weiß es nicht. Meine Mutter, die eigentlich die aggressivere war, war wohl selbst sehr unglücklich. Die Nachkriegszeit, die Armut, der gefühllose Ehemann, der sie auch nur benutzt hat. Bis zu ihrem Tod konnte ich mit meiner Mutter nicht darüber reden. Warum sie niemals liebevoll zu uns war, niemals im Arm genommen, letztendlich uns nicht geliebt hat.

Warum wurden Sie so geschlagen?

Was tun Kinder, zwei kleine Mädchen und ein kleiner Junge, dass es gerechtfertigt ist, sie zu verprügeln? Für mich gibt es da keine Antwort. Anfangs haben wir in Berlin zu fünft in einer 25 Quadratmeter kleinen Wohnung gewohnt. Mein Vater war Verkäufer in einem Kaufhaus, meine Mutter nähte nebenbei. War es der Frust? Keine Ahnung.

Haben Sie Ihren Eltern verziehen?

Nicht so richtig. Auch wenn immer gesagt wird: Ach, das war damals die Generation. Ach, das war die schlimme Nachkriegszeit. Dann hätte ja ein ganzes Volk sich nur die Köppe gegeneinander eingehauen, alle ihre Kinder ohne Ende verprügelt. Nein, auch in Armut kann und darf man seine Kinder lieben.

Das Verprügeln, besonders seelisch, zieht sich wie ein roter Faden durch Ihr Leben…

Ja, leider. Wer kein Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein hat, wird schnell Opfer. Besonders Mädchen, Frauen. Dazu kam noch, dass ich klein und zart war, eine naive Ausstrahlung hatte, ein süßes Mäuschen war, dass man bei einer sadistischen Veranlagung hetzen, quälen und in die Enge treiben konnte.

Sie reden jetzt von Ihren Männern…

Ja. Wäre ich größer und etwas korpulenter gewesen, hätte ich einen ganz anderen Typ Männer angezogen. Aber ich, blond und oft als blöd eingeschätzt, war ja geradezu ideal. Dazu kam, dass ich es ja vom Elternhaus nicht anders kannte. Prügel, Schmerzen, Lieblosigkeit. Ich war einfach ein verhuschtes, anpassungswilliges Mädchen. Also immer druff of die Kleene.

Welcher Mann war denn ganz besonders schlimm?

Eigentlich Michael Pfleghaar. Weil es auch so lange gedauert hat. Um die vier Jahre. Er war ja Regisseur von Klimbim, später Wenke Myhres Ehemann. Er war der absolute Kontrollfreak, ich durfte nichts alleine machen, musste im Hotel-Zimmer so lange warten, bis er mich zu sich rief. Und beinahe hätte er mich auch umgebracht.

Wie bitte?

Er schrie und tobte, wenn etwas nicht in seinem Kram passte, ich nicht erreichbar war. Er gab mir ohne mich aufzuklären Drogen. Tabletten, die ich ahnungslos geschluckt habe. Und was ich dann erlebt habe, war die Hölle. Wahrscheinlich war es auch eine Überdosis, da ich ja nicht viel wiege und überhaupt.

Aber man schluckt doch nicht so einfach Tabletten?

Ich schon. Ich war doch ein Nichts. Ich war Pfleghaar doch hörig. Ich habe ihm vertraut. Ich war wie eine Puppe an seinen Fäden. Im Nachhinein finde ich nur ein Wort für ihn: Sadist. Wobei er es nicht immer war. Er hatte wohl durch seinen eigenen Drogenkonsum eine gespaltene Persönlichkeit. Er war auch gut zu mir. Ich verurteile ihn nicht. Eher mich.

Und die anderen Männer?

Ach, der Stickelbrucks, meiner erster Ehemann, Kamera-Mann war schon okay. Wir hatten uns in der kurzen Ehe nur kaum gesehen. Dann Dr. Wedel, Regisseur, war auch eine teilweise gute Erfahrung. Er hat mich nicht unterdrückt, sondern versucht zu formen. Aber dieser Indianer, den ich Knallkopp geheiratet habe, der war für mich am Ende eine Bedrohung.

Weiter…?

Dann der Koeppke (?) in Kenia. Der Großwildjäger. Er wollte mich zwar ganz, wollte dass ich nicht mehr arbeite, brauchte aber auch mein Geld, trank mehr als ihm gut tat und behandelte mich nicht gerade sanft. Dann der Bernd, Schauspieler. Auch für ihn war ich dann nur noch eine Art Putzlappen. Und der Arzt in Hamburg? Ach, vergiss es.

Jetzt ist Schluss? Männer-Schluss?

Weiß Gott ja. Nie wieder. Ich glaube, dass ich inzwischen schon richtig allergisch reagiere. Natürlich bekomme ich nicht mehr so viele Angebote, was unglaublich gut ist. Denn so muss ich diesen nicht mehr ausweichen, falle nicht mehr rein. Alter schützt vor Männer. Überhaupt fühle ich mich zum ersten Mal im Leben richtig frei.

Leider kamen ja dann auch die finanziellen Probleme…

Ja, mehr als leider. Das gab mir dann den Rest. Ich bekam mehr als schwere Depressionen. Damals wusste ich das nicht. Ich konnte morgens nicht aufstehen, nicht denken, nicht fühlen, nicht sprechen. Nichts, nichts, nichts. Nicht einmal mehr weinen. Ich war wie gelähmt und stumm.

Steuer-Nachzahlungen, keine Aufträge…

Ja, auch da hatte ich jemand Falsches vertraut. Das war aber eine Frau. Steuerberaterin. Egal. Ich konnte die Miete nicht mehr bezahlen. Strom, Telefon. Essen. Nichts. Aus lauter Scham ging ich nicht zum Sozialamt. Ich wollte eigentlich nur noch sterben. Aber nicht mal dazu hatte ich Kraft und schon gar nicht den Mut.

Aber wo waren da all Ihre Freunde?

Teilweise war es ja meine eigene Schuld. Ich habe es ja nicht mal meinen Freunden so richtig erzählt. Einige haben sich auch abgewandt, als ich nicht mehr so richtig gut drauf war. Dabei habe ich früher viel Geld verschenkt, habe früher anderen geholfen. Na ja, schwamm drüber. Auch das ist ein Stück Erfahrung.

Was hat Sie gerettet?

Meine Schwester und eine sehr gute Freundin. Sie nahm mich im wahrsten Sinne des Wortes an die Hand, schleppte mich zum Sozialamt, ordnete alle Rechnungen, trieb mich zum Arzt. Der stellte dann auch schweren Eisenmangel fest. Auch daran wäre ich fast hops gegangen. Und als mein ganzes Dilemma dann noch in einer Zeitung stand, meldeten sich Auftraggeber.

Schicksals-Kehrtwende…

So kann man das in etwa sagen. Ich spiele wieder Theater, mache Lesungen, habe jetzt das Buch geschrieben, bekomme wieder Einladungen und all das. Gesundheitlich geht es mir unglaublich gut, dass ich schon fast wieder misstrauisch bin. Unter dem Aspekt: Hallo, Dir geht es zu gut. Gleich kommt wieder der dicke Hammer.

Sie trauen dem Glück nicht?

Nein. Ich werde wohl bis um Lebensende niemals richtig selbstbewusst sein. Aber das macht nichts. Damit kann ich inzwischen leben. Ich genieße jedenfalls jetzt mein Leben. Auch wenn es ziemlich lange gedauert hat, bis ich zu der Stelle gekommen bin, wo ich jetzt stehe. Erschüttern könnte mich eigentlich nichts mehr. An Mist habe ich genug erlebt.

Und trotzdem heißt Ihr Buch: Und find es wunderbar…

Na ja, wir haben jetzt nur über all meine negativen Lebensphasen geredet. Es war ja auch schön. Beruflich, Klimbim, andere Filme, dass ich die Welt sehen durfte, viele Menschen, Persönlichkeiten kennen lernen durfte. Dass ich ja auch mal gutes Geld hatte, schön wohnen und leben konnte. Das war wirklich wunderbar. Und Erfahrungen können auch gut sein.

Was wünschen Sie sich noch fürs Leben?

Ach bitte, dass es jetzt so in der Form bleibt. Keine Schreckens-Erlebnisse mehr. Keine Abstürze. Keine bitteren Erfahrungen mehr. Ich möchte nur bitte so leben, dass ich nicht mehr verletzt und ausgenutzt werde. Ich möchte richtig frei lachen dürfen. Denn das bin ich eigentlich auch. Eine Frau mit Humor und Sehnsucht nach Freude.

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Petra Cichos / September 2013

Ingrid Steeger: Interview mit Petra Cichos

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